Anodos Vane ist ein Pseudonym. Das ist kein Geheimnis. Die Impressumspflicht sorgt ohnehin dafür, dass Publizisten nicht wirklich anonym bleiben können. Das ist nicht weiter tragisch, denn ich schäme mich nicht für das Giskim-Projekt. Doch der Name Anodos Vane soll – wie eine Marke – ausdrücken, was mir mit Giskim vorschwebt, und das ist das Geheimnis von Anodos Vane.
Das Vorbild von George MacDonald
Der schottische Geistliche George MacDonald gilt als Vater der modernen Fantasy. Er lebte im Viktorianischen Zeitalter und hätte eigentlich die calvinistischen Lehren seiner presbyterianischen Kirche vertreten müssen, doch nach seinem Verständnis ist ein Gott, der willkürlich ein Handvoll Menschen für den Himmel herauspickt und den Rest der Menschheit zu einer nicht endenden Hölle verdammt, ein Monster. Damit handelte er sich eine Menge Ärger ein, weil er sich mit dieser Überzeugung gegen den Kern des Calvinismus stellte.
MacDonald war eine sensible Seele, ein Mystiker, ein Poet und ein Künstler; seine Gedanken schürften tief und eckten an, weil er sich einem strikten Dogmatismus verweigerte. Er liebte die vorchristliche Mythologie fast genauso wie seine Bibel. Und so wurde er vor allem bekannt als der Autor märchenhafter Kinderbücher und lyrischer Geschichten über seine schottische Heimat. Er schrieb auch zwei Fantasy-Romane für Erwachsene, von denen der erste, »Phantastes«, einen starken Einfluss auf den späteren Narnia-Autor C. S. Lewis haben sollte.
Warum erzähle ich das alles?
George MacDonald hat keinen direkten Einfluss auf die Giskim-Erzählungen. Tatsächlich fällt es mir schwer, seine fantastischen Romane zu lesen. Die Lektüre ist mir zu zäh, und ich finde keine echten Identifikationsfiguren in den Geschichten. Vielleicht liegt das daran, dass MacDonald ein Vorreiter war – der wahrscheinlich erste echte moderne Fantasy-Autor, und dass sich seitdem die Erzähltechniken verfeinert und die Lesegewohnheiten verändert haben.
Aber mir gefällt, wofür er steht. Mir gefällt seine Spiritualität, die keine Angst hat, unangenehme Fragen zu stellen. Mir gefällt, dass er durch seine Geschichten auf universale Wahrheiten hinweist, ohne dem Leser seine religiösen Ansichten unter die Nase zu reiben. Das war MacDonald auch ein besonderes Anliegen. Er hielt nichts von einem trockenen Literalismus, sondern wollte, dass die Leser ihre eigenen Schlüsse aus seinen Werken zogen. Er kaute ihnen seine Ideen nicht vor, sondern bettete sie auf organische Weise in seine fantastischen Welten ein. Und falls jemand nicht verstand, was er meinte, oder falls jemand eine andere Lehre aus seinen Geschichten zog, als er vor Augen hatte, dann sollte das auch so sein.
Hierin folgte ihm sein Bewunderer C. S. Lewis weniger, da dieser in seinen allegorisch-märchenhaften Erzählungen sehr explizit war, wenn er religiöse Bilder verwendete. Dies bemängelte übrigens J. R. R. Tolkien an seinen Freund Lewis. Sein eigenes Epos »Herr der Ringe« betrachtete Tolkien als einen Mythos, der zwar durch und durch von seinem katholischen Glauben geprägt war, der aber nicht als Kanal gedacht war, durch den der Katholizismus in einer literalistischen Weise an den Mann gebracht werden musste. In dieser Hinsicht war Tolkien mehr wie MacDonald, obwohl er ansonsten nicht gerade ein Fan von dessen Schreibstil war.
Das Geheimnis von Anodos Vane – das Geheimnis meines Pseudonyms – ist ein Tribut an ebendiese Besonderheit von George MacDonald, der einfallsreiche, spirituell tiefgreifende Fantasy schrieb, ohne den Leser anzupredigen oder zu bevormunden. Um Ähnliches bin ich auch mit dem Giskim-Projekt bestrebt.
Die Bedeutung von Anodos Vane
Und was, bitteschön, hat der Name Anodos Vane damit zu tun?
Wie gesagt, George MacDonald schrieb in seinem Leben zwei Fantasy-Romane für Erwachsene. Der Erste, »Phantastes«, ist eher märchenhaft, und der zweite, »Lilith«, ist mehr spirituell. Der Protagonist der ersten Erzählung heißt Anodos und der Protagonist der zweiten nennt sich Mr. Vane.
Ergo, Anodos Vane.
Mein Pseudonym ist eine Zusammensetzung der beiden Hauptfiguren aus George MacDonalds zwei großen Fantasy-Geschichten.
MacDonald hat diese Namen nicht ohne Grund gewählt. Anodos ist die griechische Bezeichnung für jemanden, der ohne Pfad ist, also für jemanden, der seinen Weg verloren hat oder der seinen Weg erst noch finden muss. Und der englische Name Vane, wenn laut ausgesprochen, klingt ziemlich genau so wie das englische Adjektiv »vain«, was eitel, nichtig oder nutzlos bedeutet.
Ich will mich nicht zum George MacDonald-Versteher erheben und behaupten zu wissen, was er mit diesen zwei Namensentscheidungen gemeint hat, aber ich kann euch sagen, was ich mir dabei für das Giskim-Projekt gedacht habe.
Das Geheimnis eines Namens
Anodos Vane bedeutet: Wer seinen Weg nicht kennt, für den ist alles eitel, nichtig und nutzlos.
Die Wahl dieses Namens ist sehr persönlich. Lange wusste ich nicht, was mein Weg war, mein Pfad, meine Berufung, und ich habe immer nur das getan und übernommen, was andere für meinen Ruf hielten. So vieles kam mir dabei nichtig und nutzlos vor. Ich wusste zwar genau, was andere von mir wollten oder auf mich projizierten, aber ich wusste auch: Das bin nicht immer ich. Das ist nicht alles, wofür Gott mich geschaffen hat.
Das Giskim-Projekt ist meine Reaktion auf einen Ruf, der in meinem tiefsten Inneren erklingt – eine Flamme, die unauslöschlich ist. Sie flackerte sogar noch in den dunkelsten Kammern meines Herzens, als es den Anschein hatte, die Ideen anderer für mich hätten sie vollständig ausgelöscht. Sie ist, was seit frühester Kindheit immer in und bei mir war.
Jeder hat diese Stimme in sich. Jeder wurde zu einem bestimmten Zweck auf diese Erde gestellt. Manche von uns folgen dem Ruf, ohne darüber nachzudenken, sie tun es auf ganz natürliche und organische Weise, andere müssen viel kämpfen und alles in ihrem Leben hinterfragen, bis sie ihren Pfad entdecken. Ich gehöre zur zweiten Gruppe.
Wie auch immer dieser Weg aussehen mag, er zeigt sich durch jenes innere Feuer, das niemand auslöschen kann, nicht einmal wir selbst, weil Gott es in uns entzündet hat.
Die Geschichten, die ich veröffentliche, handeln von diesem Ruf, den jeder Einzelne hat. Wer seinem Pfad mit Glauben, Mut und persönlicher Integrität folgt, der wird vor einem nichtigen und nutzlosen Leben bewahrt.
Das ist die Botschaft des Giskim-Projekts. Das ist das Geheimnis von Anodos Vane.